Vorbemerkung
Im Zusammenhang gerade mit Windkraftanlagen (WKA) der modernen Bauart mit einer Höhe von über 200 m stellen sich auch vermehrt Fragen zu den gesundheitlichen Auswirkungen derartiger Großgeräte. Zu den umstrittensten dieser Fragen gehört wohl, welche Auswirkungen der von diesen Anlagen ausgehende tieffrequente Schall (auch Infraschall genannt) auf diejenigen hat, die ihm ausgesetzt sind, und vor allem, ob, in welcher Form und in welchem Maß eine Schädigungswirkung für die Gesundheit nachweisbar ist.
Im Folgenden wird zunächst das Phänomen des Infraschalls näher erklärt. Der betreffende Beitrag ist absichtlich kritisch gewählt, da in Deutschland bereits das Wort Infraschall – besonders von Befürwortern der Windkraft – z.T. geradezu belächelt wird. Die danach zitierten Urteile aus Frankreich und die zugrunde liegenden wissenschaftlichen Gutachten sehen die Schädlichkeit dagegen offenbar als geklärt an.
Wir vertreten die Auffassung, dass auf diesem Gebiet auf jeden Fall weiterer Forschungsbedarf besteht. Bis zu einer definitiven Klärung gilt in Deutschland allerdings das sog. Vorsorgeprinzip, das im Rahmen des die Gesundheit schützenden Artikels 2 Abs. 2 des Grundgesetzes Anwendung findet (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-richts, vergl. BVerfGE 39, 1 <41> (= Entscheidung des BVerfG, Band 39, Seite 1, 41); 46, 160 <164> etc, etc.) die zu nahe Aufstellung von WKA an Wohn- oder Arbeitsstätten verbietet. Wichtig ist, dass nach dem Vorsorgeprinzip nicht die Schädlichkeit des Infraschalls bewiesen werden muss, sondern seine Unschädlichkeit!
Wer sich tiefergehend mit den medizinischen Hintergründen befassen möchte, sei der folgende Artikel aus dem Deutschen Ärzteblatt empfohlen:
https://www.aerzteblatt.de/archiv/205246/Windenergieanlagen-und-Infraschall-Der-Schall-den-man-nicht-hoert
Beitrag 1:
Entstehung, Reichweite und Wirkung von Infraschall aus Windanlagen
Prof. Dr. Werner Roos
Titisee-Neustadt (Februar 2022)
Mit dem Ausbau der Windenergie werden große Landschaftsbereiche mit Industrieanlagen bisher unbekannter Dimension überformt. Neben den unübersehbaren Folgen für Landschaft, Landschaftserleben und Artenvielfalt werden die Anwohner zunehmend mit dem Gesundheitsrisiko durch Schallemissionen konfrontiert. Die größte Gefahr geht von nicht hörbaren Infraschall-Pulsen aus.
1. Welchen Schall emittieren Windenergieanlagen (WEA)?
Mechanische Wellen in einem elastischen Medium sind definitionsgemäß „Schall“, unterhalb von 16 Hz „Infraschall“. Der Verlauf des Luftdrucks an einer aktiven WEA lässt verschiedene Emissionen erkennen.
1.1. Hörbarer Schall (> 16 Hz)
(erzeugt an Flügeln und durch den Generator) wird bei intakten Anlagen meist bis etwa 1000 m gehört und ist bei gleichmäßigem Wind bis 2 km messbar. Es gibt in diesem Umkreis zahl-reiche Gesundheitsbeschwerden. Die erlaubte Schall-Intensität regeln die Vorschriften der TA Lärm (in Wohngebieten 50 dB am Tage und 35 dB nachts). Die zu Grunde liegende DIN 45680 ist bisher nur oberhalb von ab 8 Hz gültig. Der wahrnehmbare Lärm kann durch tech-nische Maßnahmen reduziert werden, etwa durch eine optimale Einstellung der Turbine und der Rotorflügel. Er ist dämmbar, d.h., er wird wie bekannt durch natürliche Hindernisse und bauliche Maßnahmen (Fenster, Mauer, Dach etc.) verringert.
1.2. Verwirbelungen (Luftströmungen)
entstehen beim Durchschneiden der Luft durch die Flügel. Deren Reichweite in Anlagenhöhe wurde von der Windindustrie untersucht, um Beeinträchtigungen benachbarter Anlagen zu vermeiden. Solche Abstandsempfehlungen reichen vom 3-fachen bis zum 10-fachen Rotor-durchmesser in Windrichtung (maximal ca. 1500 m). Gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die Wirbel sind m.W. nicht ernsthaft untersucht. Es fehlen solide Hinweise für das Eindringen der Wirbel in geschlossene Wohnhäuser oder ein Bezug zu den dort berichteten Ge-sundheitsproblemen.
1.3. Infraschall (< 16 Hz)
Deutliche Hinweise auf ein Gesundheitsrisiko gibt es seit langem für den nicht hörbaren Infraschall. Die von WEA emittierte Version ist gekennzeichnet durch eine periodische Abfolge von steilen Pulsen, deren Frequenz durch die Drehzahl der Anlage bestimmt wird (luftgetragener Infraschall, s.u.). Windanlagen verursachen aber auch Vibrationen des Untergrunds (Körperschall), die besonders in festem Gestein über viele km transportiert werden können. In Gebäuden wurde die Interferenz dieses Körperschalls mit dem luftge-tragenen Infraschall beobachtet, die zu lokalen Verstärkungen führen kann. Luftgetragener Infraschall entsteht dadurch, dass, wenn der Mast von einem Rotorflügel passiert, ein Druck-stoß hervorgerufen wird. Der luftgetragene Infraschall besteht daher aus einer periodischen Abfolge von Luftdruckpulsen mit einer Wiederholfrequenz, die von der Drehfrequenz des Rotors bestimmt wird (etwa 1 Hz). Das Spektrum des Infraschalls weist neben der Grundfre-quenz Oberschwingungen auf (von Akustikern als "Flügelharmonische" bezeichnet), deren Maxima vorwiegend im Bereich bis etwa 6 Hz auftreten (Abb. 1, Abb. 2).
Abb.1: Spektrum des Infraschalls aus zwei WEA, gemessen mit einem Infraschallmikrofon
Grüne Linie: außerhalb des Gebäudes, Grundfrequenz der Rotoren bei ca 0,7 Hz und sechs deutliche Maxima der Oberschwingungen bis ca 6 Hz (BPF: blade pass frequency)
Rote Linie: gleiche Messung im Haus. Die Gesamtintensität sinkt, da Hintergrundgeräusche gedämpft werden, nicht aber die Intensität der Oberschwingungen relativ zum Hintergrund.
Schwarze Linie: Hintergrundrauschen bei ausgeschalteter Anlage.
Windanlagen: Fa. Vestas, 1,65 MW, Entfernung 421 m und 792 m.
Quelle: Firma NOISE CONTROL ENGINEERING, LLC, Billerica, MA 01821, USA: Infrasound Measurements of Falmouth Wind Turbines Wind #1 and Wind #2.
Technical Memo 2015 004.
Abb.2: Ein typischer Infraschall-Puls von einer WEA
Die von WEA ausgehenden Infraschallpulse schwanken mit Windgeschwindigkeit und Dreh-zahl und werden von Hintergrundschall und Geräuschen im hörbaren Bereich überlagert. Um sie unabhängig von diesen Störquellen darzustellen, kann man entweder vom Infraschall-spektrum der Anlage ausgehen oder den gemeinsamen Anteil in einer großen Zahl von Umlauf-Perioden ermitteln.
Für das gezeigte Beispiel wurde der Schalldruck im Abstand von 420 m von einer WEA mit 1,5 MW Nominalleistung mit einem Mikrofon aufgezeichnet. Die Zeit zwischen zwei aufein-ander folgenden Flügelpassagen betrug ca. 1,1 s (Grundfrequenz der Rotoren ca. 0,9 Hz). Die Kurven visualisieren den zeitlichen Druckverlauf während einer Flügelpassage. Der emittierte Infraschallpuls besteht zunächst aus einem kurzzeitigen Überdruck (Kompression der Luft bei der Annäherung des Flügels an den Turm), dem ein kurzzeitiger Unterdruck folgt (Sog nach der Passage des Turms). Der zeitliche Druckverlauf im Infraschallbereich wurde durch die o.g. Methoden ermittelt. Blaue Linie: extrahiert aus dem Schallspektrum der Anlage im Be-reich bis 10 Hz durch ein mathematisches Verfahren (Fourier-Transformation). Rote Linie: kohärente Überlagerung des Druckverlaufs von ca. 4000 Passagen.
Die übereinstimmenden Zeitkurven belegen die starke Periodizität des emittierten Infra-schalls. Quelle: Vanderkooy, J., Mann, R.: Measuring Wind Turbine Coherent Infrasound. 6th International Conference on Wind Turbine Noise, Glasgow 2015.
Gegenwärtig gibt es keine gesetzlichen Vorschriften, die vor Infraschall aus WEA schützen, da der Geltungsbereich der TA Lärm bei 8 Hz endet. Es gibt daher Vorschläge, in Zukunft auch den niederfrequenten, kritischen Infraschall-Bereich unter 8 Hz in die Messvorschriften der DIN 45680 einzubeziehen.
2. Wie groß ist die Reichweite von Infraschall aus WEA?
Die Reichweite des luftgetragenen Infraschalls aus WEA ist inzwischen ausreichend doku-mentiert, etwa durch Messungen der BGR (2), welche die Emissionen von Druckpulsen aus WEA in bis zu 10 km Entfernung zeigen (auch nach Berücksichtigung zwischenzeitlicher Kor-rekturen), die TremAc-Studie (6) hat 2,5 km Abstand belegt (größere Abstände wurden nicht untersucht) und seismische Vibrationen bis 9 km festgestellt. Eine kanadische Studie (5) hat Infraschallmaxima aus WEA in 6,2 km Abstand erfasst. Auch Gesundheitsprobleme, die viel-fach von Anwohnern von WEA berichtet werden, treten in ähnlichen Abständen auf. Für die Leitsymptome „hochgradiger Schlafmangel“ und „Schwindelanfälle“ kann noch in Entfernun-gen von 4-5 km eine signifikante Häufung nachgewiesen werden. Die Symptome klingen mit der Entfernung ab und liegen in 10-facher Anlagenhöhe noch etwa 30 % über dem Normal-wert (4). Trotz lokaler und meteorologisch bedingter Unterschiede kann als gesichert gelten, dass Infraschall aus WEA in mehreren km Entfernung von einer Windanlage auftritt und in der Lage ist, dort gesundheitlich negative Wirkungen auszulösen
3. Infraschall ist unhörbar. Warum stellt Infraschall aus WEA trotzdem ein Gesundheitsrisiko dar?
Das für gesundheitliche Risiken entscheidende Charakteristikum des Infraschalls aus WEA ist nicht die Höhe des Schalldrucks, sondern die Frequenz und Steilheit seiner Änderungen (1). Dabei handelt es sich um Pulse des Luftdrucks, die durch Kompression der Luft zwischen den rotierenden Flügeln und dem Mast entstehen Abb. 2). Ihre Grundfrequenz wird durch die Drehzahl der Anlage bestimmt und liegt bei heutigen Anlagen meist zwischen 1 – 3 Hz (bei Drehzahlen zwischen 20 U/min und 60 U/min), hinzu kommen deutliche Oberschwingungen (Harmonische) im Bereich bis etwa 10 Hz (Abb. 1). Dagegen verursacht pulsfreier Infraschall, z.B. ein „statistisches“ oder „unstrukturiertes“ Rauschen des Windes an einer ruhenden An-lage, keine wesentlichen Gesundheitsschäden, auch wenn er ähnlich hohe Schalldrucke er-reicht wie aus einer rotierenden WEA. (Ein unstrukturiertes Rauschen entsteht auch bei natürlichen Quellen wie der Meeresbrandung und bei der häufig kolportierten „Autofahrt mit offenem Fenster“.)
Die Wahrnehmung von Infraschall im menschlichen Körper ist insoweit abschätzbar, als Sensoren für niederfrequente Schwingungen in mehreren Organen und Strukturen existieren, vor allem im Gleichgewichtssystem, aber auch auf zellulärer Ebene. Das Gleichgewichtssystem registriert sehr geringe Änderungen des anliegenden Luftdrucks, obwohl der Gesamt-Luftdruck oder seine lokale Änderung, z.B. an bewegten Körperstellen, um Größenordnungen höher sind. Offenbar enthalten die o.g. Druckpulse eine im Gehirn verwertbare Information. Auch wenn viele Details zur biologischen Wirkung der Infraschallpulse aus WEA noch ungeklärt sind, ist erkennbar, dass Infraschall im Menschen als Stressor bewertet und beantwortet wird. So aktiviert z.B. sinusförmiger Infraschall ähnlicher Frequenz (12 Hz) de-finierte Regionen im Gehirn von exponierten Personen, ohne einen Höreindruck zu erzeu-gen (3). In diesen Gehirnregionen werden u.a. gesundheitliche Parameter gesteuert, die bei Anwohnern von Windanlagen oft als gestört diagnostiziert wurden, wie Atemfrequenz, Blutdruck und Angstreaktionen. Derartige Befunde sind häufig Ausgangspunkte für Folge-schäden.
4. Was wird seitens der Politik bzgl. der Infraschallproblematik unternommen?
Ein Gesundheitsrisiko für Anwohner von Windanlagen wird offiziell nicht mehr bestritten, auch wenn in staatlich veranlassten Studien Infraschall nicht als Ursache der Beschwerden festgestellt wird. Dies ist sachlich darauf zurückzuführen, dass die o.g. Spezifika des Infra-schalls aus Windanlagen nicht in die Untersuchung eingingen: eine Studie des Umweltbundesamtes (8) hat Tests mit künstlich erzeugtem sinusförmigen Infraschall durchgeführt, der nach eigener Aussage in der Realität so nicht vorkommt. Eine finnische Studie (7) hat die Beschwerden der Anwohner von WEA zwar erfasst, die gemessenen und in Tests verwendeten Emissionen jedoch als sogenannte Terzspektren aufgenommen, welche die emittierten Oberwellenmaxima nicht erfassen können.
Die Gesundheitsgefahr von Infraschall steht nicht im Zusammenhang mit der Hör- oder Wahrnehmungschwelle (letztere Bezeichnung ist besonders irreführend). Beide Grenzwerte widerspiegeln die Empfindlichkeit des Hörprozesses in der Cochlea: sie bezeichnen den Schalldruck, den 50 % der Bevölkerung (Hörschwelle) bzw. 90 % (Wahrnehmungsschwelle) im Test nicht mehr hören. Infraschall wird auf anderen Wegen und Mechanismen aufgenom-men und verarbeitet als Hörschall.
Die stetig steigende Größe neuer WEA führt zu größeren Rotor-Durchmessern. Dieser betrug z.B. 82 m bei der im Jahr 2010 eingeführten Anlage E82-E2, und 160 m bei der seit 2020 aufgestellten Anlage E 160-EP5. Damit steigt die Länge der Luftsäule, die bei der Passage der Flügel vor dem Mast komprimiert wird, und die Emissionen werden in niedrigere Frequenzbereiche verschoben. Dies führt zu einer höheren Reichweite und tendenziell erhöhtem Gesundheitsrisiko für Anwohner.
Eine umfängliche Begründung der Gesundheitsgefahr durch Infraschall aus Windanlagen und ihre Erklärung auf biologisch-medizinischer Ebene erfordert sowohl weitere Messungen aktueller Emissionen als auch Forschung im Labor- und Feldversuch. Die Physik des Schalls, die Biologie von Signalen und Rezeptoren und gesundheitliche Befunde an Anwohnern bie-ten sinnvolle Ansatzpunkte. Obwohl naheliegend, wurde es z.B. bisher vermieden, die reale, pulshaltige Emission einer WEA im Infraschall-Bereich aufzuzeichnen und damit Testperso-nen im Blindversuch oder im Schlaflabor zu konfrontieren. Das engere Heranrücken von WEA an menschliche Siedlungen sollte den Druck erhöhen, kausale Untersuchungen von konkreten Emissionen entschiedener einzufordern.
5. Referenzen
1) Roos W, Vahl Ch: Infraschall aus technischen Anlagen-wissenschaftliche Grundlagen für die Bewertung gesundheitlicher Risiken. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed (ASU) 2021; 56: 420-430. Antworten auf Lesermeinungen in ASU 2021; 56: 719-725, und ASU 2022; 57:53-61.
2) Pilger C, Ceranna L: The influence of periodic wind turbine noise on infrasound array measurements. J. Sound Vib. 2017; 388: 188-200, https://doi.org/10.1016/j.jsv.2016.10.027 sowie Replik in J. Sound Vib. 2021, https://doi.org/10.1016/j.jsv.2021.116310.
3) Weichenberger M, Bauer M, Kühler R, et al.: Altered cortical and subcortical connectivity due to infrasound administered near the hearing threshold - Evidence from fMRI. PLOS one 2017; 12: e01744201. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0174420
4) Paller C: Exploring the association between proximity to industrial wind turbines and self-reported health outcomes in Ontario, Canada. MSc Thesis Univ. Waterloo, 2014.
5) Palmer WKG: Why wind turbine sounds are annoying, and why it matters. Global Environ Health Safety 2017; 1: 12-17.
6) Kudella P: TremAc-Schlussbericht, Version Juni 2020. Objektive Kriterien zu Erschütterungs- und Schallemissionen durch Windenergieanlagen im Binnenland. Verbundprojekt des BMWi.
7) Maijala et al.: Infrasound Does Not Explain Symptoms Related to Wind Turbines, Publications of the Government’s analysis, assessment and research activities 2020:34
8) Lärmwirkungen von Infraschallimmissionen, UBA 163/2020
Beitrag 2:
Urteil des Cour d'appel de Toulouse vom 8. Juli 2021 – 20/01384
1. Zusammenfassung:
Der „Cour d'appel (CDA) de Toulouse“, ein ziviles Berufungsgericht, das in seiner Stellung in etwa einem deutschen Oberlandesgericht (= 3. Zivilinstanz) entspricht, hat in einem Berufungsverfahren eine Entscheidung des Urteils des „Tribunal de Grande Instance“ (= 2. Zivilinstanz, entspricht in DEU einem Landgericht) aufgehoben. Die Kläger dieses Verfahrens wohnen in einem Abstand zwischen 700 und 1300m von 6 Windkraftanlagen (WKA) entfernt und hatten gesundheitliche Beeinträchtigungen geltend gemacht. Diese hat der CDA anerkannt und festgestellt, diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien auf tieffrequenten Schall / Infraschall zurückzuführen. Dieses Phänomen hat der CDA als sog. Windturbinensyndrom (WTS) bezeichnet und der Berufung iHv. € 128000 stattgegeben. So subjektiv die Symptome auch sein mögen, so sei das sog. Windturbinensyndrom doch Ausdruck eines existenziellen Leidens, ja sogar einer psychischen Notlage, also einer Beeinträchtigung der Lebensqualität
Die für das WTS geltenden Symptome seien u.a. Kopfschmerzen, schmerzhafter Druck auf den Ohren, Schwindel, Müdigkeit, Herzrasen, Tinnitus, Übelkeit, Nasenbluten und Schlafstörungen. Folge dieses WTS sei Ausdruck eines existenziellen Leidens, ja sogar einer psychischen Notlage, also einer Beeinträchtigung der Lebensqualität. Vor dem Wohnen neben den WKA sei der Gesundheitszustand der Kläger unauffällig gewesen; es handele sich auch nicht um Windkraftgegner im politischen Sinne.
Zur Beweiserhebung hatte das Gericht zwei umfangreiche Gutachten herangezogen, die die Auffassung der Kläger stützten: das eine (über 300 Seiten lange) stammte von der französischen Nationalen Akademie für Medizin, das zweite von ANSES. Nach Sichtung dieser Gut-achten kam das Gericht zu dem Schluss, die klägerseitig erfahrenen Beeinträchtigungen seien vor allem auf tiefe Frequenzen und auf Infraschall, der für das menschliche Ohr unhörbar sei, zurückzuführen.
Die in FRA dafür geltenden Normen sie aber unzureichend, da sie die in dieser Frequenz (unter 20 Hertz) liegenden Schallwellen gar nicht messen könnten. Diese würden zwei Phänomene aufweisen: die verwirbelten Luftströmung an den Blattspitzen und die Scherung der Luft, wenn die Blätter vor dem Turm (Mast der Anlagen) vorbeiziehen., was zu schnellen Veränderungen der aerodynamischen Belastung führt.
Diese Entscheidung ist auch für DEU, wo sie aber fast schon absichtlich ignoriert wurde, von ganz erheblicher Bedeutung, zumal sich die Humanbiologie wie auch die Physik in FRA nicht wesentlich von der deutschen unterscheiden dürfte. Sie stellt eine Zäsur in der Auffassung der Gerichte dar, die sich aus einem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ableiten lässt und die auch für die Rechsprechung in DEU nicht ignoriert werden kann, was aber zurzeit noch nicht der Fall ist So argumentiert das OVG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 27.08.2021 – 5MR 8/21) wie folgt:
„Es gibt keinen wissenschaftlich gesicherten Hinweis darauf, dass von dem durch Windenergieanlagen verursachten Infraschall eine Gesundheitsgefahr oder eine erhebliche Belästigung ausgeht. Dies gilt auf jeden Fall dann, wenn - wie hier – der Abstand zum Immissionsort 500 Meter übersteigt (vgl. Beschl. d. Senats v. 23.03. 2020 - 5 LA 2/19 - m.w.N.; OVG Koblenz, Beschl. v. 30. Juli 2020 - 8 A 10157/20. OVG -; OVG Münster, Beschl. v. 29.09.2020 - 8 B 1576/19 -).
Dabei besteht in DEU qua Verfassung eine Schutzpflicht, die dem Staat gegenüber seinen Bürgern obliegt, wie das Bundesverwaltungsgericht u.a in seinem Urt. v. 21.03.21996 – 4C 9/95, juris Rn. 36, zum Ausdruck gebracht hat:
„Der Gesetzgeber hat Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten. Er darf durch sein Ver-halten die Gesundheit des einzelnen nicht verletzen. Dem Staat obliegt darüber hi-naus im Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine grundrechtliche Schutz-pflicht (vgl. BVerfGE 39, 1 <41>; 46, 160 <164>; 49, 89 <142>; 56, 54 <73 f.>; 88, 203 <251>). […] Vielmehr gebietet die grundrechtliche Schutzpflicht dem Staat, sich durch geeignete Maßnahmen schützend vor den einzelnen zu stellen, wenn für diesen die Gefahr einer Schädigung der körperlichen Unver-sehrtheit besteht. […].“ Denn die Grundrechte sind nicht nur Abwehrrechte gegen staatliches Handeln, sonder auch Teilhaberechte, die dem Bürger einen Schutzanspruch gewähren.
Dabei muß die Gesundheitsschädlichkeit einer Maßnahme oder einer Situation nicht erst bewiesen werden, um eine Schutzpflicht des Staates auszulösen. Auch Gesundheitsgefährdungen – werden sie erkannt oder als im Risikobereich liegend für hinreichend wahrscheinlich angesehen - verpflichten zum Handeln.
2. Eigenübersetzung (proBaumberge) aus dem o.a. Urteil):
Im Wortlaut führt das obige Urteil des CA Toulouse aus:
„Ce rapport (Annotation du traducteur : Il s’agit du Rapport de l’ANSES, Agence nationale de sécurité de l’alimentation, de l’environnement et du travail du 30 mars 2017 concernant exposition aux basses fréquences et infrasons des parcs éoliens) reconnait en ces termes, l’existence d’un « syndrome des éoliennes », qui altère la vie de certains riverains: le syndrome des éoliennes réalise une entité complexe et subjective dans l’expression clinique de laquelle interviennent plusieurs facteurs. Certains relèvent de l’éolienne elle-même, d’autres des plai-gnants, d’autres encore du contexte social, financier, politique, communicationnel… Le Syndrome des éoli-ennes, quelque subjectifs qu’en soient les symptômes, traduit une souffrance existentielle, voire une détresse psychologique, c’est-à dire une atteinte de la qualité de la vie qui, toutefois ne concerne qu’une partie des riverains.“
„Dieser Bericht (Anmerkung der Übersetzers: es handelt sich um den Bericht der Nationalen Agentur für Sicherheit von Lebensmittel, Umwelt und Arbeit vom 30.März 2017 bezüglich Belastung durch Niedrigfrequenzen und Infraschall von Windparks) erkennt mit diesen Begriffen die Existenz des „Windkraftsyndroms“, die die Lebens-qualität von bestimmten Anrainern nachhaltig verschlechtert: das Windkraftsyndrom verwirklicht ein komplexes und subjektives Krankheitsbild in klinischer Ausprägung, bei dem verschiedene Faktoren eintreten. Einige kommen von den Windrädern selbst, andere von den Klägern, noch andere vom sozialen, finanziellen, politischen, kommunikativen Zusammenhang. Das Windkraftsyndrom, so subjektiv die Syndrome auch seien, bringt ein existenzielles Leiden hervor, ja sogar eine psychologische Notlage, d.h. einen Angriff auf die Lebensqualität, die jedoch nur einen Teil der Anrainer betrifft.“
Beitrag 3:
Urteil des Conseil d´État) vom 8. März 2024
In seiner o.a. Entscheidung über den Betrieb von WKA hat das höchste frz. Verwaltungsgericht Conseil d´Ètat (zu deutsch: Staatsrat, entspricht dem Bundesverwaltungsgericht in Deutschland) in Frankreich einer Klage von insgesamt 15 Verbänden (darunter dem Umweltschutzdachverbandes „Fédération Environnement Durable“ (FED)) und Vereinen stattgegeben und die aus den Jahren 2021 bis 2023 stammenden Erlasse mit den Regeln zur Bestimmung der Lärmbelästigung von Windparks für unzulässig erklärt und aufgehoben. Dies geschah allerdings aus formellen Gründen und hat zur Folge, dass derzeit wieder die alten Regeln von 2011 gelten; die Betreiber von Windparks müssen nunmehr überprüfen, ob die Lärmentwicklung ihrer Windräder diesen Regeln aus dem Jahr 2011 entsprechen.
Die formellen Gründe, die zur Aufhebung führten, waren zum einen die Tatsache, dass die kassierten Lärmschutzverordnungen keiner Umweltprüfung unterlagen, zum anderen, dass bei der Abfassung Formfehler in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung im Normgebungsverfahren gemacht wurden.
Da das Urteil allerdings keine unmittelbare (materielle) Aussage zur Tauglichkeit der aufgehobenen Vorschriften im Hinblick auf die Erfassung oder Verhinderung gesundheitlicher Schäden oder die von WKA ausgehenden Gesundheitsgefahren trifft, ist diese Entscheidung letztlich in der Sache nicht von nicht von derselben Durchschlagskraft wie das bereits oben beschriebene Urteil des Cour d'appel de Toulouse vom 8. Juli 2021 – 20/01384, dass einen klaren Zusammenhang von Infraschall und Gesundheit herstellt.
Dennoch zeigen beide Entscheidungen, das die frz. Gerichte und Richter den von WKA ausgehenden akustischen Beeinträchtigungen einen erheblich höheren Einfluss auf die Gesundheit der Anwohner beimessen als es die deutschen Gerichte derzeit noch tun.
Text: proBaumberge
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